Alles begann mit connectavo. Die Software zur herstellerunabhängigen Wartung und Instandhaltung von Maschinen wurde von einem Berliner Start-up entwickelt, bis es WAFIOS übernahm. Mit der Entwicklung der Software hatte man von Berlin aus auch Mitarbeiter in einem Büro im pakistanischen Lahore beauftragt. Dennis Griesinger, bei WAFIOS Leiter Digitale Services, flog nach der Übernahme nach Pakistan um herauszufinden, wer sich vorstellen könnte, nach Reutlingen zu kommen.
Unter anderem datenschutzrechtliche Gründe seien es gewesen, dass man die Mitarbeiter gerne in Reutlingen haben wollte, erzählt Griesinger. Aber es gebe auch Unterschiede in der Unternehmenskultur zwischen einem kleinen Start-up und einem großen Unternehmen wie WAFIOS. Fünf Beschäftigte des Büros in Lahore sagten zu, mehr als die Hälfte der dortigen Belegschaft.
Einer ist inzwischen aus persönlichen Gründen wieder nach Pakistan zurückgekehrt, einer wartet noch darauf, dass auch seine Familie die notwendigen Visa für den Nachzug bekommt. Bilal Qayyum Khan kam mit Frau und Kind bereits im August aus Pakistan. Er hat die sogenannte Blaue Karte EU. Mit ihr können sich Fachkräfte für drei Jahre in Deutschland aufhalten, nach 21 Monaten können sie einen unbefristeten Aufenthalt beantragen. Die ersten beiden Jahre sind die Inhaber an den anwerbenden Betrieb, in diesem Fall also WAFIOS, gebunden. Die Arbeitsverträge der neuen Mitarbeiter aus Pakistan sind unbefristet.
Um den Wechsel nach Deutschland organisatorisch, aber auch inhaltlich möglichst gut zu gestalten, nimmt WAFIOS die Dienste von Petra Schweitzer und ihrer Firma „PS Relocation Services Menschen“ in Anspruch. Sie hilft bei den notwendigen Behördengängen, aber auch bei der Vernetzung mit Landsleuten und der Freizeitgestaltung. Erstaunlich schnell fand sich mit ihrer Unterstützung Wohnraum für die neuen Mitarbeiter. Niemand musste länger als zwei Monate in der Übergangsunterkunft verbringen, die WAFIOS organisiert hatte. Schwieriger war es, dass der Universitätsabschluss von Usman Jamil nicht zum Blue-Card-Programm der EU passte, aber auch diese Hürde konnte bewältigt werden.
Dass es mit der Eingewöhnung bisher gut geklappt hat, führt Dennis Griesinger auch darauf zurück, dass man den Mitarbeitern schon Monate vor ihrer Ankunft in Deutschland stets Informationen über das Leben hier zukommen ließ. Von der Landschaft bis zur WAFIOS-Kantine kannten sie schon vieles, bevor sie es mit eigenen Augen zu sehen bekamen. „Wir waren da sehr ehrlich und haben keine Luftschlösser oder Einhörner gemalt“, so Griesinger.
Das Ergebnis bestätigt diese Vorgehensweise. Bilal Qayyum Khan, Usman Jamil und der dritte Gesprächspartner, Hanan Ur Rehman, sagen übereinstimmend, sie hätten den Umzug bisher noch an keinem Tag bereut. Was nicht heißt, dass sie alles toll finden. Sie loben die als typisch deutsch geltenden Tugenden wie Pünktlichkeit, geregelte Abläufe und gute Organisation. Aber dass Deutschland in vielen Bereichen bei der Digitalisierung, speziell in der öffentlichen Verwaltung, so weit hinter ihrem Heimatland zurückliegt, hat sie dann doch überrascht. Schwierig sei auch die deutsche Sprache, sind sie sich einig. Seit einigen Wochen machen sie einen von WAFIOS organisierten Online-Intensivkurs, der sie auf das Sprachniveau A1 bringt.
Wichtig finden Dennis Griesinger und sein Kollege Claus Denkinger, dass die Integration keine Einbahnstraße sei. Sich internationaler aufzustellen, sei für das Unternehmen nicht nur mit Blick auf Fachkräfte aus dem Ausland geboten. Schließlich gehen 70 Prozent der Maschinen von WAFIOS in den Export. „Das kann sogar die Kaufentscheidung beeinflussen“, weiß Griesinger. WAFIOS habe schon Aufträge erhalten, weil bei einem Mitbewerber die Ansprechpartner nicht auf Englisch kommunizieren konnten.
Schon vor der Ankunft der neuen Kollegen habe man deshalb überlegt, an welchen Punkten die Firma Hilfestellung geben könne. Zum Beispiel mit mehr Zweisprachigkeit, vom Schwarzen Brett über den Aushang in der Kantine bis zur Beschriftung von Räumen. „Über den eigenen Tellerrand hinauszublicken, bringt uns auch als Team voran“, sagt Denkinger. Manche Probleme tauchten trotz aller Vorbereitung erst im Alltag auf. Dann zeige sich zum Beispiel, dass ein Windows-Rechner, der auf Deutsch konfiguriert sei, nicht von allen benutzt werden könne. Es gelte allerdings, auch diejenigen Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen, die bisher über keine oder nur geringe Englischkenntnisse verfügten.
Nicht zu ändern ist trotz optimaler Vorbereitung das hiesige Wetter. „Wir warten immer noch auf Sonne“, meint Hanan Ur Rehman. Und auch Bilal Qayyum Khan sagt, er habe sich nicht vorstellen können, wie winterlich es hierzulande noch im April sein könne. Aber auch bei diesem Thema kommt es auf die Perspektive an. Seine kleine Tochter habe in Reutlingen erstmals Schnee gesehen und ihn „sehr gemocht“. Und die Perspektiven für die Kinder waren für alle ein Hauptgrund, ihr Heimatland zu verlassen. Noch vor der höheren Lebensqualität und der sozialen Absicherung nennen sie die Chance auf eine „bessere Zukunft für die nächste Familiengeneration“ als Motivation dafür, nach Reutlingen gekommen zu sein.